2019, Installation Grünband München - Freiham
Freiham Folly

Stahl, Holz, gefärbter Beton, vorpatiniertes Kupferblech

21,28 m (H) × 2,48 m (B) × 2,48 m (T),

 

Für die Parkanlage von Freiham wurde ein Turm entworfen, dessen Spitze man nahezu von jeder Stelle sehen kann. Seine Größe ist so bemessen, dass er als Orientierungsmarke wahrgenommen wird, zugleich aber einen unklaren Status zwischen benutzbarer Architektur und Modell- oder Zierbau hat. Der Turmfuß verstärkt die ambivalente Erscheinung, denn der Schaft steckt in einer Kugelform aus grünlichem Beton, die das hoch aufragende Bauwerk optisch destabilisiert. Der Turm scheint auf der Kugel ausbalanciert. Mit seiner filigranen Gestalt erinnert er an ein Minarett, schweift der Blick jedoch entlang dem Schaft nach oben, kulminiert er in einer Turmspitze, deren schwülstig gewölbter Balkon mit dem Zwiebeldach bayerisch anmutet.

Die „närrische“ Zusammenführung lässt sich als Fusion mindestens zweier Identität stiftender kultureller Wiedererkennungsmuster deuten, die sich in der Form eines Folly treffen. Die provokativ programmatische Zwecklosigkeit des Folliys wird dazu genutzt, in ihrer seltsamen Fremdheit mit Momenten der Identitätsbildung zu spielen und damit Denkräume zu öffnen.

Die Oberfläche des 21 Meter hohen Gebildes besteht ganz aus Kupferblech. Ein Raster aus verschiedenen Farbflächen in Blaugrün, Grün, Grau und Brauntönen sowie blankem Kupfer bildet ein zufällig wirkendes Flickenmuster. Es überzieht alle baulichen Details vom Turmschaft bis zur Turmspitze und fasst sie zu einer Einheit zusammen. Ähnlich einem Camouflagemuster löst es den Baukörper zugleich scheinbar auf.
Für die Verkleidung werden verschiedene vorpatinierte Kupferbleche verwendet, die unter
Bezeichnungen wie „Oslo“, „Madrid“, „Boston“ usw. im Handel angeboten werden und den natürlichen Oxidationsprozess an jenem namensgebenden Ort imitieren.

Die in klassischer Spenglerarbeit zu einer geschlossenen Kupferhaut zusammengefügten
Kupfermaterialien werden sich im Laufe der Zeit durch natürliche Oxidation verändern und somit auch die Gesamterscheinung des Turmes wandeln. Entsprechend der Lage der Flächen zu Wind und Wetter werden die mehr oder weniger auffälligen Farbunterschiede langsam schwächer und es setzt sich nach und nach eine den Münchener „Bedingungen“ entsprechende grüne Oxidschicht durch. Selbst nach Jahrzehnten werden daraus noch die verschiedenen Farbnuancen hervorscheinen.

Der Park von Freiham:

Mit dem sogenannten Grünband von Freiham haben die Landschaftsarchitekten W8 einen von allen Seiten zugänglichen offenen Park konzipiert, der sich wie ein schmales Band zwischen die alte Wohnbebauung in Neuaubing West und die neue Bebauung in Freiham Nord schmiegt.
Aus den Renderings des Büros lässt sich eine Atmosphäre des zukünftigen Areals erahnen; eine künstlich angelegte, modellhafte und paradiesisch wirkende Kulturlandschaft nach Vorbild des bayrischen Voralpenlandes prägt mit Obstgehölzen und Gesteinsbrocken das Erscheinungsbild.

Mit vielen Betätigungsangeboten wie einem Kräutergarten, einer Urban-Gardening-Zone, einer Obstbaumwiese inklusive Steintisch zum Picknicken, und mehreren Sport und Spielplätzen entsteht ein dicht bestückter Freizeitraum, der die diversen Bewohner*innen aus Neuabing und Freiham zusammenbringen soll.
„Freiham verbindet“ lautet der von der österreichischen Branding Agentur brainds 2013
entwickelte Slogan, mit dem die Marke Freiham bereits vor Baubeginn eine spezifische Idee formuliert und kommuniziert. Von Inklusion, Barrierefreiheit und sozialer Durchmischung
wird im Zusammenhang mit dem Neubauvorhaben im Münchner Westen immer wieder gesprochen.

Die Imagebroschüre von Freiham stützt ihre Vision auf Bilder von lachenden gut bekleideten Menschen: Ein älterer Herr im Rollstuhl in Gesellschaft einer älteren Dame, im Sonnenuntergang Wein und Bier trinkende Mittvierziger*innen, wissbegierige Teenager, Hobbygärtner und die zufriedene Kleinfamilie mit Hund beim Picknick oder Sonntagsspaziergang.
Die idyllischen Bilder, die die Marke Freiham und die Vision des innovativen Stadtteils verkaufen, entsprechen einer Mischung aus Bildern in Werbespots für Kinderschokolade, alkoholische Getränken und Eigenheime.
Man setzt hier auf eine Semiotik des altbewährten Idealen statt auf eine selbstbewusste Bilderwelt, die einer zeitgemäßen Durchmischung der Anwohnerschaft in Freiham bzw. dem Stadtbezirk 22 entspricht.

Migration und soziale Durchmischung:
Im Stadtbezirk 22 (Aubing Lochhausen Langwied), zu dem Freiham gehört, lebten im Jahr 2015 bei einer Gesamtbevölkerung von 43 682 Bewohnern ca. 7000 Deutsche mit Migrationshintergrund und 10640 Ausländer*innen, woraus sich ein Gesamtanteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund von fast 24% ergibt.

Die Stadt mag durch die positive Imageerzeugung Gemeinwesen stiften oder sich vor kritischen Bürgern wappnen wollen. Sie sollte jedoch auch bedenken, dass sich Teile der Bevölkerung in diesem Idealbild nicht wiederfinden und sich so erst recht in ihren sozialen Mikrokosmos zurückziehen. Neben Stadtteilbereichen mit geradezu dörflichem Charakter gibt es im Bezirk 22 auch Ecken, die von den dort wohnenden Kindern und Jugendlichen
selbst als „Getto“ bezeichnet werden. In Neuaubing West liegt der Migrationsanteil der Kinder von 0-11 Jahren bei 75,8 %. Dies entspricht im Augenblick auch dem Anteil der ausländischen Kinder in der Grundschule an der Wiesentfelserstraße. Hier hatte man sich durch die Bewohner*innen der kürzlich entstandenen Neubausiedlungen eine soziokulturelle Mischung erhofft, die ausbleibt falls diese Eltern bevorzugen werden, ihre Kinder in
Freiham auf die Schule zu schicken. (vgl.: Gefahr der Ghettobildung, SZ vom 25.01.2016

© 2016 Ulrich Genth / Heike Mutter

 
 
 
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